Vorhang: Der Schluss

Das Madrigal ist klar zweigeteilt. Die abschließenden Zeilen „e'n rilegendo poi le proprie note“ und „spargea di pianto le vermiglie gote“ werden von Monteverdi von der kontrapunktischen Einheit des vorhergehenden geradezu separiert.

Textlich vollzieht sich hier eine Selbstreferenz. Das erneute Lesen des selbst Geschriebenen rührt -- erneut -- zu Tränen. Eine durchaus gefährliche Selbstreferentialität und eine weiterer (genialer) perspektivischer Bruch in Tassos Text. Monteverdi vertont diese neue Szene ganz abgesetzt von dem vorher. Die Vertonung ist in beinahe allen Teilen das Gegenteil von dem was vorher war. Polyphonie weicht einem syllabischen und homorhythmischen Satz aus Kürzen und Längen. Vorher übliche geflohene Kadenzen werden durch lange kadenziellen Passagen auf „vermiglie gote“ ersetzt.

Ein flexibles Schichten kontrapunktisch abgestimmter soggetti weicht einem einzigen Satzprinzip in den Außenstimmen, nämlich einem 5-3-Satz, der fast erschreckend konsequent durchgeführt und in diesem Ausmaß kaum in anderen Stücken zu finden ist. Die untere Abbildung zeigt den gesamten Außenstimmensatz des Schlusses. Wie stark dieses Satzprinzip den Schluss bestimmt, zeigt sich vor allem in den Takten 96-97 und 106-107, wo potentielle Sopranklauseln nicht eingelöst werden und stattdessen der 5-3-Satz bestimmend ist.

ASS-schluss

Ende

Monteverdis Umgang mit dem Text, der außerordentlich mit dem Medium Sprache und Schrift spielt und dabei Raum und Zeitgrenzen verwischt, ist in vieler Hinsicht bemerkenswert. Die dichte motivische Kontrapunktik und das kaleidoskopartige Kreisen im ersten Teil, greift Tassos literarisches Spiel mit Erinnerung und dem Festhalten derselben auf. Die rhetorische Umsetzung und die kompositorische Idee ist besonders mit Blick auf andere Madrigale technisch un- und außergewöhlich gemacht.

In dieser kleinen Analyse sollte jedoch vor allem die satztechnischen Grundlagen für die Kontrapunktik näher beleuchtet werden, eine weitere analytische und interpretatorische Beschäftigung unter Einbezug dieser Grundlagen, wäre denke ich lohnend. So füge ich diese analytischen Beobachtungen Schicks und Boykans Beobachtungen zur Narration zunächst einfach hinzu.