Prolog: Koordinaten zum Madrigal „Piang'e sospira“

Zu Monteverdis berühmten Madrigal Piang'e sospira gibt es einige Analysen und Arbeiten, die in der Regel die komplexe kontrapunktische Struktur herausstellen und die besondere Verbindung zwischen Text und Musik in der kompositorischen Gestaltung von Monteverdi hervorheben. Selten wird dabei aber die genaue Machart des Kontrapunkts thematisiert. Auch scheint die Vorstellung von Chromatik tendenziell als ein harmonische Phänomen und wird -- wie in der Arbeit von Schick -- eher als Gegensatz zur kontrapunktischen Anlage oder zumindest als kompositorische Erschwernis gewertet, denn als integraler Bestandteil des Kontrapunkts. Die vorliegende Analyse möchte diese Lücke mit einigen neueren Erkenntnissen zur Musiktheorie ergänzen und vielleicht an manchen Stellen auch korrigieren.Die Beschäftigung mit dem Madrigal geht auf eine Aufführung von Monteverdis Orfeo zurück, bei der an Stelle des Apollo-Schlusses dieses Madrigal als neuer Schluss der Oper eingeführt wurde. Die Deutung des Textes als ein Moment des Relativerens von Raum und Zeit durch Schrift und Sprache, spiegelt sich in der Musik so denke ich noch deutlicher.

Das Madrigal Piang'e sospira ist das letzte Stück des 4. Madrigalbuch, das 1603 in Venedig zum ersten Mal erscheint. Die Textgrundlage ist eine Passage aus Tassos Gerusalemme conquistata (VIII,6). Die Protagonistin ist Erminia:

Piange, e sospira; e quando i caldi raggiSie weint und seufzt, und als die heißen (Sonnen)strahlen
fuggon le gregge, a la dolce ombra assise,die Schafsherde vertrieben hat, setzt sie sich in den süßen Schatten
ne la scorza de' pini o pur de' faggiund sie schrieb in die Rinde einer Pinie oder Buche
segnò l' amato nome in mille guise:den geliebten Namen auf tausend verschiedene Weisen
e de la sua fortuna i gravi oltraggi,und über dessen Schicksal und schwere Schmähungen
e i vari casi in dura scorza incise:und all diese verschiedenen Vorkommnisse ritzt sie in die harte Rinde ein:
e 'n rileggendo poi le proprie noteUnd später beim erneuten Lesen derselben Aufzeichnungen
spargea di pianto le vermiglie gote.rinnen ihr Tränen über die roten Wangen.

Ich möchte einige der kompositorischen Besonderheiten von Monteverdis musikalischer Umsetzung des Textes hervorheben. Im Anschluss an diese Analyse folgt eine kurze Interpretation des Textes hinsichtlich einer Intermedialität und einer perspektivischen Gebrochenheit, die in Tassos Vorlage angelegt ist und meines Erachtens von Monteverdi in der musikalischen Umsetzung noch einmal besonders hervorgehoben wird. Diese Überlegungen sind sicher noch ausbaufähig.